Wie teuer müsste das Benzin sein, um die Umwelt- und Klimakosten des motorisierten Individualverkehrs vollständig zu decken? Und wie lassen sich Treibstoffabgaben sozialverträglich gestalten? Nach der Ablehnung des CO2-Gesetzes sind diese Fragen drängender denn je.
Steuern sind wichtig für die ökologische Transformation, denn sie haben eine lenkende Wirkung. Über steuerliche Anreize fördert oder bremst ein Staat umweltfreundliches wie umweltschädigendes Verhalten. So ist etwa Kerosin im internationalen Luftverkehr von der Mineralölsteuer befreit, was das klimaschädliche Fliegen steuerlich begünstigt – einer von vielen Fehlanreizen im aktuellen Steuersystem. Wie aber müsste dieses gestaltet sein, damit umweltfreundliches Verhalten sich lohnt – nicht nur fürs gute Gewissen, sondern auch fürs Portemonnaie?
«Umweltverbrauch muss deutlich mehr kosten», sagt die Ökonomin Irmi Seidl, Leiterin der Forschungseinheit Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). Seidl arbeitet zur Frage, wie eine Ökonomie gestaltet werden kann, damit sie den Menschen dient und die natürlichen Grundlagen erhält. «Alle Ökonominnen und Ökonomen sind sich einig, dass externe Kosten zu internalisieren sind», sagt sie. «Das bedeutet, dass schädliche Folgen einer Ware, Dienstleistung oder Aktivität nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt, sondern von den Verursachenden bezahlt werden. Dies könnte man übers Steuersystem regeln», so die Ökonomin weiter.
Steuersystem begünstigt umweltschädliches Wachstum
Die Pionierarbeit für eine umweltfreundliche Umgestaltung von Steuersystemen leistete der 2018 verstorbene Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger: Bereits in den frühen 1980er-Jahren entwickelte er die Idee einer ökologischen Steuerreform. Diese bestehe im Grundsatz darin, wie Seidl erklärt, «die Nutzung von Umweltressourcen steuerlich stärker zu belasten und Arbeit zu entlasten. Ergänzend dazu wären auch höhere Kapital- und Erbschaftssteuern sinnvoll.» Heute besteuert die Schweiz wie die meisten anderen Staaten vor allem Arbeit, Kapitaleinkommen und Konsum. Die Einnahmen aus umweltbezogenen Steuern machen weniger als 5 Prozent der gesamten Steuereinnahmen aus, während diejenigen aus der Besteuerung von Arbeitseinkommen 11,6-mal grösser sind (Stand 2021).
Dass Arbeit heute durch Einkommenssteuern und Sozialabgaben stark belastet ist, hat verschiedene Nachteile. Aus ökologischer Sicht ist relevant, dass Unternehmen die teure menschliche Arbeit möglichst ersetzen wollen, etwa durch Automatisierung und Digitalisierung – was das umweltschädliche Wirtschaftswachstum vorantreibt. Denn: Werden Menschen von Maschinen ersetzt, braucht es Wachstum, um neue Arbeitsplätze für die neu Erwerbslosen zu schaffen. Dazu lockt man etwa neue Firmen an, zont Land ein, baut Strassen, Häuser und weitere Infrastruktur. Aber nicht nur die hohe Abgabenlast auf Arbeit begünstigt Wirtschaftswachstum. In Bereichen wie Energie, Landwirtschaft, Verkehr oder Siedlungsentwicklung gibt es zahlreiche Steuervergünstigungen, die wachstumstreibend wirken. Deshalb wäre es sinnvoll, wie Irmi Seidl betont, das gesamte Steuersystem auf wachstumstreibende und umweltschädigende Anreize hin zu analysieren.
Mit drei Hebeln den Umweltverbrauch beeinflussen
Will der Staat via Steuern Umweltverbrauch verteuern und umweltfreundliches Verhalten belohnen, bieten sich ihm im Wesentlichen drei Hebel: Erstens kann er umweltschädliche Steuervergünstigungen abschaffen. Zweitens kann er positive Anreize für umweltfreundliches Verhalten setzen, etwa beim Wohnen oder bei der Mobilität. Und drittens kann der Staat bestehende Umweltabgaben erhöhen und ausweiten, beispielsweise die CO2-Abgabe. So besteuert die Schweiz heute fossile Brennstoffe (Heizöl, Erdgas) mit 120 Franken pro Tonne CO2, jedoch nicht fossile Treibstoffe (Benzin, Kerosin).
Im Unterschied zur Mineralölsteuer, die teils in die allgemeine Bundeskasse fliesst und teils zweckgebunden für Strassen- und Luftverkehr verwendet wird, ist die CO2-Abgabe eine Lenkungsabgabe. Sie wird grösstenteils an Wirtschaft und Bevölkerung zurückverteilt. Nur: Die über die Krankenkassen zurückbezahlten Beträge sind relativ klein (rund 60 Franken) und werden von der Bevölkerung kaum wahrgenommen. Damit sich klimafreundliches Verhalten stärker auszahlt, müsste die CO2-Abgabe deutlich höher sein. Ab einem Preis von 180 Euro pro Tonne CO2 wären die externen Kosten der Emissionen internalisiert, so das deutsche Umweltbundesamt. Allerdings gilt dies nicht für den Flugverkehr, weil sich die schädliche Wirkung des CO2 in der Stratosphäre verdreifacht. Für Flugbenzin müsste der CO2-Preis gemäss Seidl bei rund 540 Franken pro Tonne liegen.
Mit Lenkungsabgaben ist aber ein fiskalisches Risiko verbunden. Wenn eine Lenkungsabgabe wirkt und weniger von der besteuerten Ressource verbraucht wird, sinken die staatlichen Einnahmen. Darum braucht es Modelle, die die Abgabe sukzessive erhöhen und/oder auf andere Ressourcen erweitern. Neben fossilen Energieträgern wäre es gemäss Seidl auch sinnvoll, andere Umweltressourcen zu besteuern, denn: «Wir haben heute kaum eine Besteuerung von ökologischen Ressourcen wie Kies, Holz, Wasser oder all den Mineralien, die wir importieren», sagt die Ökonomin. «Dass sie so kostengünstig sind, führt zu einer enormen Verschwendung.»
Reformen scheitern allesamt
Vor allem in den Nullerjahren gab es in der Schweiz mehrere Versuche, das Steuersystem umweltfreundlicher zu gestalten: mit Volksinitiativen – wie jener der Grünen «Für eine gesicherte AHV – Energie statt Arbeit besteuern!» – und Vorlagen des Bundes. Sie scheiterten allesamt an der Urne. Der vorerst letzte grössere Reformversuch stammt aus den 2010er-Jahren: Damals entwickelte das Finanzdepartement unter Eveline Widmer-Schlumpf Pläne für ein umfassendes Lenkungssystem. Ab 2020 wären sämtliche Energieträger – Brennstoffe, Treibstoffe, Strom – mit einer Abgabe belastet worden. Dieses Lenkungssystem hätte sukzessive die bis dahin geltenden Subventionen für erneuerbare Energien abgelöst.
Die Vorlage scheiterte 2015 im Parlament, sie war von allen Seiten unter Beschuss geraten: Während die rechte Ratsseite neuen Umweltabgaben per se skeptisch gegenüberstand, wollte die linke die bisherigen Subventionen nicht aufgeben. Und mit dem Wechsel an der Spitze des Finanzdepartements von Eveline Widmer-Schlumpf zu Ueli Maurer verschwanden die ökologischen Reformpläne definitiv in der Schublade.
Verlierer haben mächtige Interessenvertreter
Warum ist es bislang nicht gelungen, das Schweizer Steuersystem verursachergerecht umzugestalten, so, dass jene am meisten bezahlen, die auch am meisten Ressourcen verbrauchen? «Bei jeder Steuerreform gibt es Gewinner und Verlierer», sagt Irmi Seidl, «und bei einer ökologischen Reform haben die absehbaren Verlierer – allen voran die Mineralöl- und die Autobranche – mächtige Interessenvertreter.» Präsent sind diese vor allem in den beiden rechten Parteien. So kämpft allen voran die SVP konsequent gegen jede ökologische Vorlage, oft mit millionenschweren Abstimmungskampagnen und oft erfolgreich, wie zuletzt beim CO2-Gesetz, das eine moderate Erhöhung und Erweiterung der CO2-Abgabe vorsah und 2021 an der Urne knapp scheiterte.
Aber auch die grossen Wirtschaftsverbände – und mit ihnen die FDP und die «NZZ» – leisten in der Regel Widerstand gegen ökologische Steuerreformen. Seidl erinnert daran, dass schon Hans Christoph Binswanger gesagt habe: «Die ‹NZZ› ist immer für ökologische Steuerreformen, nur nicht für die, die jeweils vorgeschlagen wird.» Sie lacht. «Und da liegt Wahrheit drin: Weil bei einer Steuerreform immer gewisse Branchen verlieren, kann man dieses und jenes an den Reformplänen kritisieren und schliesslich das Ganze auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben.»
Vielleicht wird ja die kürzlich eingereichte «Zukunftsinitiative» der Juso zum Anlass, dass die Schweiz bald wieder grundsätzlich darüber diskutiert, wie sich die ökologische Transformation mittels Steuern beschleunigen lässt. Die Initiative verlangt, Erbschaften über 50 Millionen Franken zu 50 Prozent zu besteuern und die Einnahmen in Klimaschutzmassnahmen zu investieren. Dringend wäre es allemal.