moneta: Martin Rohner, nach achteinhalb Jahren als Vorsitzender der Geschäftsleitung verlässt du die Alternative Bank Schweiz. Warum?
Martin Rohner: Es ist der richtige Moment für mich, aber auch für die ABS. In einem Leitungsgremium braucht es eine gute Mischung aus Konstanz und Erneuerung. In den letzten acht Jahren konnte ich viel erreichen, aber jetzt beginnt für die ABS eine neue Phase, in der es frischen Wind braucht. Und ich bin jetzt 54 und mache mir Gedanken, was ich noch erreichen möchte. Da ich früher immer international tätig war, empfinde ich den Wechsel zur Global Alliance for Banking on Values (GABV), dem globalen Netzwerk der führenden nachhaltigen Banken, als natürlichen Schritt in meiner Biografie.
Die Corona-Krise nimmt dir die Möglichkeit, dich persönlich von vielen Mitarbeitenden und den Aktionärinnen und Aktionären zu verabschieden. Was bedeutet das für dich?
Die letzten Wochen waren seltsam. Ich habe mein Team kaum gesehen, und immer noch herrscht Unsicherheit, wen ich noch persönlich treffen kann. Es ist sehr schade, dass wir den Anlass zum 30-Jahr-Jubiläum der ABS auf nächstes Jahr verschieben mussten. Ich hätte mich gern persönlich von den Aktionärinnen und Aktionären verabschiedet. Ich gehe mit viel Dankbarkeit gegenüber den Menschen, die die ABS ermöglichen – gegenüber meinem Team, aber auch gegenüber den Kundinnen und Kunden, Aktionärinnen und Aktionären. Sie standen uns auch in schwierigen Zeiten zur Seite und sind uns ein Ansporn, uns weiterzuentwickeln.
Wenn du die ABS im Jahr 2012 mit der heutigen vergleichst: Was hat sich verändert?
Die ABS hat sich geöffnet, ist stark gewachsen und reifer geworden. Ein erster Paukenschlag war der neue visuelle Auftritt, der das Selbstbewusstsein gegen aussen signalisierte. Dann die neuen Standorte in Zürich, Lausanne und Genf und die neue Auslandstrategie. Wir haben heute knapp 40 000 Kundinnen und Kunden, über 8000 Aktionärinnen und Aktionäre. Bilanzsumme und Ausleihungen haben sich verdoppelt, die Eigenmittelbasis sogar verdreifacht, und wir haben 50 Prozent mehr Mitarbeitende. Die Anlageberatung hat heute viel mehr Gewicht. Wir haben die Vermögensverwaltung professionalisiert und den ersten ABS-Anlagefonds lanciert. Und wir haben die Anlage- und Kreditrichtlinien überarbeitet und ein umfassendes Nachhaltigkeitsreporting eingeführt.
Du hast gesagt, für die ABS beginne jetzt eine neue Phase. Warum?
Weil die tiefen Zinsen dauerhaft anhalten, reicht es nicht mehr, zu optimieren, was wir bis anhin gemacht haben, sondern wir müssen neue Geschäftsideen entwickeln. Und die Digitalisierung wird künftig wahrscheinlich alle Bereiche des Banking erfassen. Ausserdem hat unser Wachstum Spuren hinterlassen in der Führungs- und Unternehmenskultur und im Selbstverständnis. Jetzt muss die ABS einen Moment innehalten und fragen: Was ist die ABS? Was sind ihre Werte, was ist ihre Vision nach innen? Ich persönlich musste mir überlegen: Will ich nochmals Vollgas geben oder Raum schaffen, damit Neues entstehen kann?
Du wirst Exekutivdirektor der GABV. Welche Aufgaben erwarten dich dort?
Seit ihrer Gründung 2009 ist die GABV rasch gewachsen und umfasst heute 62 Banken weltweit, die ihr Geschäftsmodell konsequent an gesellschaftlichen und ökologischen Bedürfnissen ausrichten. Ein solches Netzwerk birgt ein enormes Potenzial, um voneinander zu lernen, zusammenzuarbeiten und andere für unsere Grundsätze und Ziele zu begeistern. Das wollen wir im Rahmen der Strategie 2023 erreichen. Meine Aufgabe wird es sein, den Dialog und die Zusammenarbeit unter den Mitgliedern zu fördern und die GABV als Modell für ein zukunftsfähiges Banking in der Finanzwelt sowie bei Behörden und internationalen Organisationen und Initiativen zu positionieren.
Die ABS hat im Februar in Bern das Jahrestreffen der GABV organisiert. Höhepunkt war eine gemeinsam mit dem WWF ausgerichtete Tagung. Neben den GABV-Mitgliedsbanken nahmen auch Vertreterinnen und Vertreter der Schweizer Finanzindustrie teil. Was ist dein persönliches Fazit aus der Tagung?
In jüngster Zeit ist das Thema des sozial und ökologisch orientierten Banking in der Finanzbranche angekommen. Aber viele Banken gehen die Sache erfolgsstrategisch an, also mit der Frage: Was kann nachhaltiges Banking dazu beitragen, dass ich noch mehr Gewinn mache? Anstatt die grundsätzliche Frage zu stellen: Was tragen wir als Bank dazu bei, dass die Welt nachhaltiger und sozialer wird? An unserer Tagung fand ich spannend, dass wir ganz unterschiedliche Menschen zusammenbrachten – Banken-CEOs, junge engagierte Menschen aus der Klimabewegung und Leute aus Politik und Wissenschaften. Sie diskutierten miteinander in unterschiedlichen Formaten, und ich hatte das Gefühl, dass auch bei den Exponentinnen und Exponenten von etablierten Bankinstituten ein neues Problembewusstsein entstanden ist. Besonders schön ist, dass der Dialog weitergeht, sowohl mit den anderen Banken als auch mit der Klimajugend.
Wenn die Schweizer Finanzbranche insgesamt nachhaltiger wird, welche Rolle kann dann die ABS einnehmen?
Unsere Rolle muss sein, den Finger auf die heiklen Stellen zu legen, denn die Gefahr des Greenwashing – dass Banken sich bloss ein grünes PR-Mäntelchen umhängen – ist gross. Darum ist es wichtig, dass die ABS am Dialog mit anderen Banken teilnimmt und sich engagiert. Dank der Entwicklung in den vergangenen Jahren sind wir heute in der Position, das zu tun: Wir werden eingeladen, mit der Schweizerischen Bankiervereinigung über nachhaltiges Banking zu diskutieren oder an etablierten Bankenkonferenzen das Geschäftsmodell der ABS vorzustellen. Das zeigt, dass wir heute ein anderes Gewicht haben als noch vor einigen Jahren.
Du hast die ABS stark geprägt. Aber wie sieht es umgekehrt aus: Was nimmst du mit zur GABV?
Viele graue Haare und noch mehr schöne Erinnerungen! Ich konnte bei der ABS viel lernen. Sie wird immer eine Inspiration für meine Arbeit sein. Innerhalb des GABV-Netzwerks gehört sie zu den ambitioniertesten Banken, was die soziale und ökologische Orientierung und die ethische Reflexion angeht. Deshalb wird sie bei meiner künftigen Tätigkeit eine wichtige Bezugsgrösse sein.
Wir stehen am Anfang einer globalen Wirtschaftskrise. Welche Gefahren birgt sie für das werteorientierte Banking?
Die Risiken sind für alle Banken ähnlich: Die Kreditrisiken nehmen zu, die Liquidität hat zum Teil abgenommen, die Gewinne werden zurückgehen. Insgesamt werden die GABV-Mitglieder aber etwas besser dastehen als andere Banken, denn sie sind widerstandsfähiger als der Durchschnitt. Sie haben eine bessere Kapitalisierung, und die Kundinnen und Kunden sind oft sehr loyal. Wir hatten bei der ABS praktisch keine Panikverkäufe, während die meisten anderen Banken dies stark spürten. Was mir aber grosse Sorgen macht, ist die Situation im globalen Süden: Viele Länder werden in der Armutsbekämpfung um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte zurückgeworfen, was die dortigen Banken vor grosse Herausforderungen stellen wird.
Was bedeutet das für die GABV?
Die Zusammenarbeit wird noch wichtiger. Dass wir uns in dieser Situation mit gleichgesinnten Banken austauschen können, mit denen wir nicht im Wettbewerb stehen, ist enorm wertvoll. Wir lernen voneinander und erkennen Chancen und Lösungsansätze viel früher. Und was die konkrete Zusammenarbeit angeht: Denkbar wäre beispielsweise, dass Banken in Ländern wie der Schweiz, die immer noch eine relativ hohe Liquidität haben, Banken in Ländern des globalen Südens Gelder zur Verfügung stellen.
Was ist deine Vision für die GABV: Wo soll sie in zehn Jahren stehen?
Mein Ziel ist es, dass die GABV weltweit anerkannt wird als das Netzwerk der führenden nachhaltigen und werteorientierten Banken. Und dass sich deshalb immer mehr Banken der GABV anschliessen und nach ihren Grundsätzen arbeiten wollen. Innerhalb des Netzwerks soll ein lebendiger Austausch und eine enge Zusammenarbeit entstehen, die uns zu mehr machen als einfach die Summe unserer Mitglieder. Indem die GABV an Sichtbarkeit und Reichweite gewinnt, erhoffe ich mir, dass wir auch andere, etwa die Mainstream-Banken, dazu inspirieren, mehr Verantwortung für die Zukunft unseres Planeten zu übernehmen.