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06.12.2021 von Katharina Wehrli

«Ich bin stolz darauf, wie viel wir gemeinsam erreicht haben»

Michael Diaz ist seit 2013 Mitglied der Geschäftsleitung und verantwortlich für den Bereich Anlegen. Ende Februar 2022 verlässt er die ABS und bricht auf zu neuen Ufern. Im Abschiedsinterview wirft er einen Blick zurück auf neun ereignisreiche Jahre.


Beitrag der ABS
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Foto: Wolf AG, Olten
moneta: Michael Diaz, vor neun Jahren hast du bei der ABS angefangen. Kannst du dich an deine ersten Eindrücke erinnern?
Michael Diaz Sehr gut sogar! Das Team der Anlageberatung legte mir nach zwei Wochen ein Manifest mit Forderungen auf den Tisch, was sich jetzt alles ändern müsse. Sie wollten endlich ernst genommen werden und forderten, dass der Anlagebereich innerhalb der Bank einen höheren Stellenwert erhalten solle.

«Die Lancierung des ersten ABS-eigenen Anlagefonds war regulatorisch eine enorme Herausforderung.» 

Michael Diaz

Seither hat sich der Anlagebereich stark weiterentwickelt. Er ist heute neben dem Kreditgeschäft das zweite Standbein der Bank und sehr erfolgreich. Was waren die wichtigsten Schritte in diesem Prozess?
Zuallererst möchte ich festhalten, dass nicht ich das gemacht habe, sondern mein Team respektive wir alle zusammen. Und ich bin stolz darauf, wie viel wir gemeinsam erreicht haben. Ein erster Schritt war die Einführung der Vermögensverwaltung – und das war ein Wahnsinnsprojekt, weil wir sehr viele regulatorische Vorgaben erfüllen und zugleich neue Strukturen schaffen mussten, beispielsweise eine Kommission, die die Anlageentscheide für die Kundinnen und Kunden trifft. Auch mussten wir für die verschiedenen Vermögensverwaltungsstrategien definieren, wie hoch die jeweiligen Anteile von Aktien, Obligationen usw. sein sollten.
Wie unterscheidet sich die Vermögensverwaltung der ABS von jener einer konventionellen Bank?
Das Spezielle ist, dass unsere Kundinnen und Kunden – egal welche Anlagestrategie sie wählen – immer Impact-Anlagen in ihrem Portfolio haben, also Anlagen mit einer unmittelbaren Wirkung, die nicht über die Börse gehandelt werden; anfänglich waren dies oft Mikrofinanzanlagen. Das ist der realwirtschaftlichen Mission der ABS geschuldet und ein gutes Beispiel für die Reibung, die es manchmal zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung gab.
Inwiefern?
Ursprünglich präsentierte ich dem VR ein ganz normales Konzept für die Vermögensverwaltung, aber Eric Nussbaumer, der damalige VR-Präsident, sagte: «Das ist zu wenig.» Und ich fragte: «Wie, das ist zu wenig?» Er antwortete: «Ich sehe die Mission der ABS nicht.» Und dann suchten wir und entschieden, bei allen Strategien Impact-Anlagen zu integrieren. Und bei der Impact-Fonds-Strategie, die volumenmässig heute die wichtigste ist, sind es sogar 70 oder 80 Prozent Impact-Anlagen. 
Was war der nächste grosse Schritt?
Die Lancierung des ersten ABS-eigenen Anlagefonds. Das war regulatorisch nochmals eine enorme Herausforderung. Auch war es anspruchsvoll, herauszufinden, wie wir diesen Fonds machen müssen, damit er ABS-like ist – und wie wir ihn positionieren wollten. 
Was war dein persönliches Highlight in diesem Prozess?
Als das Marketing den Slogan für den Fonds präsentierte: «Das Label sind wir». Das war so emotional! Ich bin ja sonst nicht so wahnsinnig emotional, aber das hat mich sehr berührt, weil ich fand: Ja, genau, das ist es! Wir orientieren uns an unseren eigenen Werten!
Und wie stellt ihr sicher, dass der Fonds diesen Werten entspricht?
Durch unsere Anlage- und Kreditrichtlinien. Darin haben wir definiert, nach welchen Kriterien wir Unternehmen in unser Anlage-Universum aufnehmen oder davon ausschliessen, wie etwa die Rüstungs- oder die Tabakindustrie. Aber es gibt auch unglaublich viele Grauschattierungen, und hier versuchen wir, transparent zu sein. Wenn wir beispielsweise bei einem Unternehmen eine Kontroverse feststellen und nicht sicher sind, ob wir es ausschliessen sollen oder nicht, dann diskutieren wir das in unserem Beirat und legen die Kontroverse im Faktenblatt für unsere Kundinnen und Kunden offen. 
Die neuen Angebote im Anlagebereich entsprechen offensichtlich einem grossen Bedürfnis der Kundinnen und Kunden: Die ABS ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. 
Ja, aber was wir nicht vergessen dürfen, ist das Retail-Geschäft. Es ist das Fundament unserer Bank: Jede Kundin, jeder Kunde kommt zuerst in die Kundenberatung, eröffnet ein Konto, will eine Maestrokarte, eine Kreditkarte, braucht E-Banking. Diese Dienstleistungen sind zentral, und die Menschen, die da arbeiten, sind es ebenso. Und in den letzten Jahren hat die Kundenberatung eine tolle Entwicklung durchgemacht und innovative Projekte verwirklicht, zum Beispiel das digitale Onboarding.
Die Möglichkeit, ein Konto digital zu eröffnen?
Ja, das war eines der anspruchsvollsten Projekte überhaupt. Wir haben dort bis zur Erschöpfung gearbeitet, aber es herrschte eine gute Grundstimmung, und das hat uns zusammenrücken lassen. Das digitale Onboarding ist eine super Sache: Man kann in 20 Minuten ein Konto eröffnen und muss keinen Schritt in die Bank machen. Und wie das dann abgegangen ist! Wir haben seit Einführung 14000 Eröffnungen durchgeführt mit dem Tool.
Sind es vor allem jüngere Kundinnen und Kunden?
Genau, wir erreichen jetzt die 20- bis 40-Jährigen. Auch Menschen aus ländlichen Regionen machen viel eher ein Konto bei uns auf, seit sie nicht mehr in eine Filiale kommen müssen. Hier ist die Digitalisierung eine gelungene Sache. Alle in der ABS redeten von Digitalisierung, und im Retail sagten wir: «Wir machen das jetzt.» Das war ein Riesenprojekt, super umgesetzt, und ich möchte allen Leuten danken, die das verwirklicht haben. Ohne sie wären wir heute nicht dort, wo wir sind.
In den vergangenen Jahren hat sich das Umfeld der ABS stark verändert: Fast alle Banken wollen heute nachhaltig sein. Was bedeutet das für die ABS? 
Unsere Rolle muss sein, diese Entwicklung kritisch zu begleiten, denn das Risiko des Greenwashing ist gross. Auch wird es für die ABS schwieriger, sich von den anderen Banken abzuheben. Wenn alle grün sein wollen, dann muss die ABS noch besser veranschaulichen, wieso sie wirklich grün ist. 

«Wenn alle Banken grün sein wollen, dann muss die ABS noch besser veranschaulichen, wieso sie wirklich grün ist.» 

Michael Diaz

Kann die ABS unter diesen Voraussetzungen noch eine Pionierrolle spielen?
Ja, denn uns macht aus, dass wir nicht einfach ein Produkt ins Schaufenster stellen, sondern Nachhaltigkeit über die ganze Bank leben. Und das wird in Zukunft immer wichtiger, denn jetzt braucht es einen Kulturwandel in der Finanzindustrie. Die Banken müssen aufhören, immer dem Geld hinterherzurennen, und sich stattdessen fragen, was ihr Beitrag ans Gemeinwohl ist. Und hier kann die ABS eine Pionierrolle spielen und zeigen: Ein Kulturwandel ist möglich, es ist nicht einfach, aber es geht. 
Was hat dir an deiner Aufgabe bei der ABS am besten gefallen?
Die Menschen. Die vielen tollen Beziehungen – und wie viel ich von meinen Kolleginnen und Kollegen lernen durfte. Auch erfüllt es mich mit Genugtuung, dass ich sagen kann, wir haben unseren Beitrag geleistet, um unsere direkte Wirkung im Anlagebereich zu steigern. Aber was vor allem bleiben wird, sind die vielen schönen Erinnerungen an die engagierten, tollen Menschen in der ABS, die sich für ein nachhaltiges Banking einsetzen. Und das wird mir fehlen, wenn ich jetzt zu neuen Ufern aufbreche. 
Wohin zieht es dich? 
Ich bin sehr offen. Es muss nicht zwingend im Banking sein, denn neben der ABS gibt es nicht viele andere Banken, die sich so konsequent an ihren ethischen Werten orientieren! Es könnte auch eine Stelle bei einer Stiftung oder einem Verein sein. Ich kann mir aber auch vorstellen, ins Ausland zu gehen und dort im Social Banking zu arbeiten, zum Beispiel nach Spanien, wo ein Teil meiner Familie herkommt. Ich will mich jetzt wieder ein wenig neu erfinden.
Ist das der Grund, warum du die ABS verlässt?
Ursprünglich dachte ich, ich würde etwa zehn Jahre bleiben. Dass es jetzt etwas früher ist, hat zwei Gründe: Einerseits werde ich nächstes Jahr 50 – und auf dem Stellenmarkt ist es wohl einfacher, vorher einen neuen Job zu suchen –, und 
andererseits finde ich, dass man sich als ABS-Geschäftsleitungsmitglied jetzt, mit der Soziokratie und der neuen Strategieperiode, für weitere drei bis fünf Jahre verpflichten sollte. Mittendrin in diesem Prozess zu gehen, wäre nicht fair. All das miteinander macht es für mich stimmig, jetzt zu gehen, auch wenn der Abschied nicht leichtfällt. 
Was denkst du: Wird dein Team deiner Nachfolgerin oder deinem Nachfolger wieder einen Forderungskatalog auf den Tisch legen?
Lacht. Das musst du mein Team fragen! 
Was möchtest du deinen Kolleginnen und Kollegen und allen Menschen, die mit der ABS verbunden sind, zum Abschied sagen?
Bleibt euren Werten treu, ohne fundamentalistisch zu sein. Ich bin ja von der Ausbildung her Ökonom und Ethiker, und ein Ethiker ist kein Fundamentalist, sondern einer, der Wertsysteme hinterfragt und begründet. Diese kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Wertvorstellungen fand ich immer sehr wichtig. Also: Bleibt euch treu und kritisch – und geht als ABS selbstbewusst in die Zukunft!
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