Schulden können jede und jeden treffen. Eine Scheidung, ein Jobverlust, eine Krankheitsdiagnose – häufig sind solche einschneidenden Lebensereignisse Auslöser dafür, dass Menschen in den Teufelskreis der Überschuldung geraten. Ändert sich die finanzielle Situation von heute auf morgen oder wird ein Familienmitglied auf einen Schlag mit unerwartet hohen Kosten konfrontiert, kann das für einen ganzen Haushalt gravierende Folgen haben. Es stapeln sich unbezahlte Rechnungen und Mahnungen, gefolgt von Betreibungen, Kündigungen und Pfändungen. Besonders häufig von einer Überschuldung betroffen sind Personen mit prekärem Einkommen oder niedrigem Bildungsstand, Alleinerziehende und kinderreiche Familien sowie Menschen mit Migrationshintergrund.
Auf die finanziellen Sorgen und die Scham, die eine Verschuldung meist mit sich bringt, folgen oft gesundheitliche Probleme, Spannungen im sozialen Umfeld, Arbeitslosigkeit bis hin zu Vereinsamung oder einem Eintritt in die Sozialhilfe. So schnell ein Abrutschen in die Schulden passieren kann, so schwierig ist es für Betroffene, wieder aus der Schuldenspirale hinauszukommen. Gerade für Menschen, die nicht über finanzielle Reserven oder die nötigen Finanzkompetenzen verfügen, ist es eine grosse Herausforderung, selbst einen Ausweg aus der Überschuldung zu finden.
Engagiert für Menschen in finanziellen Schwierigkeiten
Caritas Schweiz setzt sich seit 2010 für Schuldenbetroffene ein. Zusammen mit ihren regionalen Partnerorganisationen und dem Dachverband Schuldenberatung Schweiz engagiert sich Caritas in der Prävention sowie Information und Beratung. Das Engagement umfasst vielfältige, grösstenteils kostenlose Angebote von Schulbesuchen zur Prävention über die Herausgabe von Ratgebern und Infomaterialien für Behörden bis zu persönlichen Beratungsgesprächen. Fachpersonen stellen auf Wunsch gemeinsam mit ihren Klientinnen und Klienten einen Plan für den Schuldenabbau sowie ein Budget auf und begleiten sie in der Umsetzung.
Eine grosse Hürde beim Schuldenabbau ist häufig, dass Ratsuchende nicht über die nötigen liquiden Mittel — sei es durch Vermögen oder einen monatlichen Budgetüberschuss — verfügen. Fallen neben den primären Schulden hohe Prozess- und Anwaltskosten an, weil beispielsweise Gläubiger gerichtlich klagen, erschwert dies die Situation für Überschuldete zusätzlich.
Für den erfolgreichen Ausstieg aus der Schuldenspirale ist es entscheidend, dass die Schuldnerinnen und Schuldner bei einer Sanierung keine neuen Schulden machen, beispielsweise durch die Aufnahme eines neuen Kredites. Denn ein neuer Kredit bringt wegen der der Verzinsung nicht nur höhere Kosten, sondern auch zusätzliche Gläubigerforderungen mit sich.
Neustarten dank zinsfreien Darlehen
Die Alternative Bank Schweiz und Caritas Schweiz haben gemeinsam eine einfache Gesellschaft gegründet, um Schuldenbetroffenen zinsfreie Darlehen anbieten und sie bei der Finanzierung von Prozess- und Anwaltskosten unterstützen zu können. «Das Besondere an dieser einfachen Gesellschaft ist, dass die Darlehen zinsfrei vergeben und Prozesskosten vorgeschossen und wenn nötig ganz übernommen werden», betont Marie Bitumba-Bousfield, Geschäftsleiterin des Projekts Neustart. «Die Schuldnerinnen und Schuldner erhalten so die Möglichkeit, ihre Schulden zu begleichen und ihr Darlehen in Raten zurückzubezahlen, ohne für zusätzliche Zinsen oder Anwaltskosten aufkommen zu müssen. Dies entlastet den Schuldenabbau enorm und nimmt Druck aus dem ganzen System.»
Mit dem Projekt Neustart erweitern die beiden Trägerorganisationen ABS und Caritas die bestehenden Angebote, wobei es heute insbesondere in der Deutschschweiz und im Tessin kaum vergleichbare Lösungen gibt. In der Romandie hingegen existieren in mehreren Kantonen bereits öffentlich-rechtliche Entschuldungsfonds mit ähnlichem Zweck. «Die Anzahl überschuldeter Haushalte zu verringern, liegt im Interesse der Gesamtgesellschaft», ist Marie Bitumba-Bousfield überzeugt. «Weil wir letztlich alle die Ausstände durch höhere Sozial- und Gesundheitskosten mittragen.»
Das Startkapital der einfachen Gesellschaft beträgt 1 Million Schweizer Franken. Pro Gesuch und Fall können die Fachpersonen der Beratungsstellen bis zu 30 000 Schweizer Franken beantragen. Die Schuldenregulierungsphase — das heisst, die Frist für die Rückzahlung — ist gemäss Empfehlung des Dachverbandes Schuldenberatung Schweiz auf drei Jahre begrenzt. Während dieser Phase und bis zur vollständigen Rückzahlung des Darlehens begleiten die Beratungsstellen ihre Klientinnen und Klienten eng und unterstützen sie bei der Einhaltung des Schuldenabbauplans.
«Es freut uns sehr, dass das Projekt Neustart endlich Fahrt aufnimmt», so Daniela Mattmüller, Koordinatorin Recht und Compliance bei der Alternativen Bank Schweiz. «Für die ABS ist dies eine tolle Möglichkeit, als Bank einen ganz konkreten Beitrag zur sozialen und finanziellen Integration von Menschen zu leisten.»
Bis Redaktionsschluss dieser moneta sind beim Projekt Neustart zwei Gesuche eingegangen. Das erste ist Ende Oktober von einem Ausschuss, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern von Caritas und ABS, bewilligt worden. Das zweite wird derzeit geprüft.