Auch im Pharmaland Schweiz mangelt es an zahlreichen Medikamenten. Apothekerin Lydia Isler-Christ erklärt, was man dagegen tun kann – und wie sie sonst mit Knappheit umgeht.
moneta: Frau Isler-Christ, woran fehlt es in Ihrer Apotheke?
Lydia Isler-Christ Der Medikamentenmangel betrifft alle Apotheken, nicht nur unsere. Es fehlt täglich an etwas.
Zum Beispiel?
Letzten Winter wurden die Antibiotika sehr knapp. Das Problem könnte sich diesen Winter wiederholen. Bei gewissen Antibiotika dürfen wir nur noch eine abgezählte Menge einzelner Tabletten verkaufen und keine ganzen Packungen mehr.
Wie steht es bei starken Schmerzmitteln?
Ganz bestimmte Opioide fehlen immer wieder – ein grosses Problem. Daneben mangelt es an Blutdrucksenkern, Mitteln gegen Epilepsie, Hormonpräparaten – mittlerweile fehlen fast für jede Indikation gewisse Präparate.
Beunruhigend. Zum Teil hat der Bund seine Pflichtlager geöffnet, inwiefern schafft dies Abhilfe?
Dies kann bis zu einem Grad sicher helfen. Allerdings müssen die Pflichtlager wieder aufgefüllt werden. Zudem spüren wir in unserer Apotheke bisher nichts von dieser Öffnung.
Ihr Geschäft befindet sich in Basel, wo auch die Pharmafirmen Roche und Novartis ansässig sind. Etwas naiv gefragt: Könnten Sie nicht einfach bei diesen Firmen mehr Medikamente kaufen?
In Basel haben die Firmen vor allem ihre Forschungsstandorte. Effektiv produziert werden die meisten Medikamente im Ausland. Roche hat noch gewisse Produktionsstandorte in der Schweiz.
Ein Problem sind ja unterbrochene Lieferketten. Woher kommen unsere Medikamente?
Die Wirkstoffe stammen häufig aus China. Diese werden in ein anderes Land – fast überall auf der Welt – geliefert und dort zu Medikamenten verarbeitet.
Gewisse Apotheken stellen vermehrt wieder selbst Medikamente her. Ein Ausweg?
Wir versuchen es. Die Frage ist, ob man den Wirkstoff erhält. Letzten Winter machten wir Hustensirup. Nun stellen wir Beruhigungsmittel her oder Kapseln gegen Schlafstörungen. Dies ist sehr befriedigend, handelt es sich doch um eine Grundkompetenz von uns Apothekerinnen.
Was gibt es sonst für Lösungen? Eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem Ausland?
Das Problem betrifft ja nicht nur die Schweiz, sondern die ganze Welt. Es braucht Lösungen auf allen Ebenen. Zum Beispiel gibt es Bestrebungen, die Produktion von Wirkstoffen für Medikamente wieder in den EU-Raum oder sogar in die Schweiz zu holen. Dies verteuert aber den Preis, und es stellt sich die Frage, wie viel Medikamente kosten dürfen.
Trotz Engpässen ist die Lage in der Schweiz noch deutlich besser als in armen Ländern oder in Kriegsgebieten. Kann die Schweiz trotzdem noch helfen?
Dafür ist primär der Bund zuständig. Man schickte etwa gewisse Antibiotika in die Ukraine. Früher sandte man sogar noch angefangene Packungen Medikamente in Kriegsgebiete, dies ist aber technisch kaum praktikabel. Besser ist es, das Geld zu spenden und die Medikamente zentral einzukaufen.
Litten Sie persönlich oder Ihre Angehörigen schon unter Medikamentenknappheit?
Meine Eltern brauchen Blutdrucksenker. Da es gewisse Kombinationsprodukte nicht mehr gibt, mussten wir versuchen, diese aus einzelnen Tabletten zusammenzustellen. Es gibt heute kein Wunschkonzert mehr, sondern man muss nehmen, was gerade erhältlich ist. Das müssen wir den Leuten immer wieder erklären.
Wie gehen Sie sonst mit Knappheit um – zum Beispiel mit Zeitmangel?
Ich versuche, kreativ zu sein, und setze Prioritäten.
Was machen Sie, wenn in Ihrer Küche eine Zwiebel fehlt und die Läden schon geschlossen sind?
Ich gehe zur Nachbarin! (Lacht.) Ich wohne zwar in der Stadt, aber wir helfen uns aus. Das ist sehr schön.
Bei Medikamenten ist dies vermutlich schwieriger – wenn es nicht gerade um Aspirin geht?
Ja, das stimmt. Wenn den Nachbarn in ihrer Hausapotheke etwas fehlt, kommen sie allerdings häufig zu mir.
Stefan Boss ist freischaffender Journalist in Basel und schreibt über Klima, Umwelt und Logistik.
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