Die Sozial- und Solidarwirtschaft (SSW), Vorreiterin der nachhaltigen Wirtschaft
«Grundlegende Veränderungen in der Art und Weise, wie Gesellschaften produzieren und konsumieren, sind unerlässlich, um weltweit eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen.» So lautet eine zentrale Aussage des Aktionsplans des Uno-Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung von 2002 – eine Verpflichtung, die seither oft wiederholt wurde. Bis zur flächendeckenden Umsetzung ist es aber noch ein weiter Weg. Eine Bewegung, die sich genau dafür engagiert, ist die Sozial- und Solidarwirtschaft (SSW). Sie ist im 19. Jahrhundert aus der Selbstorganisation von Produzierenden und Verbrauchenden hervorgegangen. Heute ist die SSW in vielen Ländern als eigene rechtliche Kategorie anerkannt und besteht aus Wohn-, Produktions- und Konsumgenossenschaften, gemeinnützigen Versicherungsanstalten und Sparkassen. Aber auch Unternehmen der Baubranche und des Ernährungs- und Landwirtschaftssektors zählen dazu. Alle zeichnen sich durch folgende Eigenschaften aus: mitbestimmte Unternehmensführung, eine Ausrichtung auf den sozialen Nutzen und das Gemeinwohl, faire Löhne und Preise für alle Beteiligten und eine positive ökologische Wirkung. Zudem kommunizieren sie aktiv über ihre Best Practices, als Bausteine und Anreize für ein nachhaltiges Wirtschaften. In Genf werden solche Unternehmen seit 2003 durch ihren Dachverband Après-GE gefördert, unterstützt und sichtbar gemacht. Die ABS ist seit der Gründung dabei.
Bereits 6000 Arbeitsplätze im Kanton Genf
Après-GE zählt rund 800 Mitglieder, davon 450 Unternehmen und 350 Einzelmitglieder. Jedes Jahr kommen neue Unternehmen hinzu, die alle den Kriterien und der Charta des Verbands folgen. Die Unternehmen von Après-GE bieten zusammen 6000 Arbeitsplätze an. Sie zeigen, dass es nicht nur wünschbar, sondern auch machbar ist, anders zu produzieren und zu konsumieren. Viele der Unternehmen sind auch in der Kreislaufwirtschaft tätig und bieten etwa Reparaturwerkstätten, Bibliotheken mit Alltagsgegenständen oder Upcycling-Aktivitäten an. Dank einer interaktiven Karte auf der Website des Verbands sind sie leicht zu finden.
Eine Studie aus dem Jahr 2021 zeigte, dass fast zwei Drittel der Einnahmen dieser Unternehmen aus Verkaufserlösen stammen. Spenden machen etwas mehr als 7 Prozent aus und staatliche Subventionen für erbrachte Leistungen 28 Prozent. Über 80 Prozent der Unternehmen sind in den folgenden sechs Bereichen tätig: Soziales, Gesundheit und Integration (14,7 Prozent); Kunst, Kultur, Sport und Freizeit (14,4 Prozent); Bildung, Ausbildung und Kleinkinderbetreuung (13,2 Prozent); Non-Food-Dienstleistungen (13,2 Prozent); lokaler Bürgerinnen- und Bürgereinsatz und internationale Solidarität (12,5 Prozent); Ernährung, Landwirtschaft und Gastronomie (10,1 Prozent).
Weiter machte die Studie sichtbar, dass in den Vorständen und anderen strategischen Gremien der Unternehmen zu 46 Prozent Frauen sitzen und dass die Spannbreite der Löhne auffallend klein ist: Während bei den befragten Unternehmen der niedrigste jährliche Bruttomedianlohn für eine Vollzeitstelle bei 60 000 Franken pro Jahr liegt, beträgt der höchste jährliche Bruttomedianlohn 96 000 Franken. Die höchsten Löhne sind also lediglich 1,6-mal höher als die niedrigsten – während laut der Gewerkschaft Unia die mittlere Spannbreite der Löhne in der Schweiz 2020 bei 137 lag. Dank der Studie konnte schliesslich auch ein Verzeichnis von 72 nachahmenswerten Beispielen aus der Praxis der Unternehmen erstellt werden.
Nachhaltiges Konsumieren fördern
Ein wichtiges Anliegen von Après-GE ist es, nachhaltige Angebote so nahe wie möglich an den Alltag der Bevölkerung zu bringen. Der Verband hat Aufträge von städtischen Behörden erhalten, das Quartierleben durch die Ansiedlung von SSW-Unternehmen zu fördern. Ein Leuchtturmprojekt ist beispielsweise Locali, das ab kommendem Herbst der gesamten Genfer Bevölkerung in jedem Stadtteil ein Abonnement für lokale Waren und Dienstleistungen zur Verfügung stellt. Dazu gehört der Zugang zu lokalen und saisonalen Lebensmitteln in einem Lebensmittelladen, gemeinsam genutzte Gegenstände aus einer Bibliothek der Dinge, Kleidertauschbörsen und eine Zentrale für nachhaltige Mobilität (öffentlicher Verkehr, Velos, Autos). Wenn man hauptsächlich lokal konsumiert, kann der persönliche CO2-Ausstoss bis zu 70 Prozent sinken. Das Angebot von Locali hilft also, den ökologischen Fussabdruck drastisch zu reduzieren.
Sich gut vernetzen
Seit 2022 verfügt Après-GE für seine Aktivitäten über ein eigenes Lokal im Herzen des Ökoquartiers La Jonction: L’Espace. Das Lokal ist nicht nur Hauptsitz und Schaufenster, sondern ermöglicht vor allem, die Dynamik der wirtschaftlichen Alternativen zu stärken. Zudem ist der Verband Mitbegründer und engagierter Partner von Iddea, einem Wettbewerb für nachhaltige Ideen für Unternehmen der Zukunft. Er findet seit 2013 jedes Jahr statt. Après-GE bringt sich auch in der öffentlichen Debatte für die Förderung einer nachhaltigen Wirtschaft ein.
Schliesslich ist Après-GE regional (Après-VD, Après-BEJUNE), national und international (Ripess Europe – www.ripess.org/) eingebunden und gut vernetzt. So wird die Zusammenarbeit mit Sens (Social Entrepreneurship Schweiz), dem Gewerbeverein, Econgood (Gemeinwohl-Ökonomie Schweiz) und auch mit der Koalition «Lang leben unsere Produkte» laufend verstärkt, mit dem Ziel, die Vision und die Praktiken einer nachhaltigen Wirtschaft breiter abzustützen. Eine besonders wertvolle Anerkennung für die SSW als Ganzes ist eine im April 2023 von der Uno-Generalversammlung verabschiedete Resolution. Darin werden die Mitgliedstaaten ermutigt, «die Sozial- und Solidarwirtschaft als ein mögliches Modell für eine nachhaltige wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu unterstützen und zu fördern», auch im
öffentlichen Beschaffungswesen.