Ökonomen wie Niko Paech sehen das beständige Wirtschaftswachstum als zentralen Treiber dieser Entwicklung. Paech und andere fordern daher seit Jahren den Übergang in eine Postwachstumswirtschaft, zu einem Wirtschaftssystem, das ohne Wachstum auskommt und die natürlichen Grenzen des Planeten respektiert. In ihrem Leitbild spricht die ABS zwar nicht von Postwachstumsökonomie, und doch scheint sich die Bank zu dieser Idee zu bekennen, wenn darin steht, dass sie sich bei ihrer Geschäftstätigkeit «der weltverträglichen Lebensqualität heutiger wie künftiger Generationen verpflichtet». Interessanterweise ist die ABS allerdings selbst kein Postwachstumsunternehmen. Das zeigt ein Blick in den Geschäftsbericht, und auch der Ethikbericht mit dem Titel «Das Wachstum der ABS», den die Bank 2015 von Ulrich Thielemann verfassen liess, kommt zu diesem Schluss.1 Wie geht das zusammen?
Umschichten und die Wirtschaft umgestalten
«Diese und die übrigen Schlussfolgerungen, die Ulrich Thielemann 2015 gezogen hat, stimmen – auch heute noch», sagt Etienne Bonvin. Er ist Mitglied der Geschäftsleitung der ABS und feiert dieses Jahr das Jubiläum zu seinem 25. Dienstjahr (siehe Box). Die Bank sei tatsächlich kein Postwachstumsunternehmen. «Trotzdem war es nie unser Ziel, zum Wirtschaftswachstum beizutragen», betont er. «Das Ziel ist seit der Gründung, Geld umzuschichten von der nichtnachhaltigen in die saubere, weltverträgliche Wirtschaft. In die Wirtschaft, wie wir sie uns als Bank wünschen.»
Für Etienne Bonvin braucht es die ABS nicht, damit die Wirtschaft wächst, sondern damit sie anders wird. Konkret geschehe dies unter anderem dann, wenn die Bank Kredite an nachhaltige Unternehmen vergebe oder für ihre Kundschaft Geld in solche anlege. So schichte sie Geld um und habe eine positive Wirkung auf Gesellschaft und Umwelt – und diese Wirkung solle möglichst wachsen. «Dafür brauchen wir aber Mitarbeitende, Infrastruktur und für die Vergabe von Krediten unter anderem auch genügend Eigenmittel», erklärt er. Soll die Wirkung zunehmen, müssten all diese Faktoren und damit auch die Bank als Unternehmen entsprechend mitwachsen. «In den letzten 15 Jahren hat uns zudem die schwindende Zinsmarge regelrecht zum Wachstum gezwungen», ergänzt er. Damit die Bank den Ertrag erhalten und überhaupt existieren konnte, musste sie das Volumen der Kredite erhöhen und das Anlagegeschäft ausbauen und damit eben auch weiterwachsen. Für Etienne Bonvin ist letztlich entscheidend, dass die Raison d’être der ABS stets im Zentrum steht. Eben, dass die Bank eine positive Wirkung auf Gesellschaft und Umwelt hat und diese zusammen mit der Glaubwürdigkeit und Hörbarkeit der Bank immer grösser wird. «Ist dies der Fall, dann finde ich unser Wachstum legitim. Alles andere ist eine Frage des Gleichgewichts», sagt Etienne Bonvin.
«Wir sind nicht so weit, wie wir sein sollten»
Die ABS setzt sich seit über 30 Jahren für eine Wirtschaft und eine Gesellschaft ein, welche die planetaren Grenzen respektieren; Etienne Bonvin ist seit 25 Jahren dabei. Ist die Gesellschaft heute weiter als damals? «Wir sind weiter, aber natürlich nicht so weit, wie wir sein sollten», hält er fest. Die Gesellschaft sei sicher offener für die nötigen Veränderungen. «Letztlich müssen diese wohl doch durch staatliche Eingriffe erzwungen werden.» Etwa wie im Fall der Automobilindustrie. Dass es eine andere Art von Mobilität brauche, sei schon vor 30 Jahren klar gewesen. Der grosse Umbruch habe jedoch erst jetzt begonnen, dank den neuen Bestimmungen etwa in der EU.
Verantwortung nicht einzelnen Unternehmen übertragen
Obschon die ABS seit ihrer Gründung kontinuierlich gewachsen ist, ist ihr Marktanteil heute nach wie vor bescheiden. Wie klein dieser ist, erkennt man beispielsweise, wenn man die Bilanzsumme der ABS mit jener der UBS vergleicht. Die UBS hat heute eine Bilanzsumme von über 1000 Milliarden, die ABS lediglich gut 2 Milliarden. Kann man da wirklich sagen, dass die ABS entscheidend zum angestrebten Wandel beiträgt? Im Ethikbericht 2015 kommt Ulrich Thielemann zum Schluss, dass die Bank tatsächlich nur wenig zur effektiven Umschichtung von Geld in der Wirtschaft beigetragen hat und beitragen kann. Trotzdem nimmt er die Bank auch in Schutz und findet, wie Etienne Bonvin, dass der Wandel nur gelinge, wenn der Staat die entsprechenden Regeln erlasse. Die Verantwortung dafür könne nicht einzelnen Unternehmen übertragen werden.
Pionierinnen und Pioniere gefördert
Zum effektiven Beitrag der ABS sagt Etienne Bonvin: «Die ABS war immer die Bank für jene, die etwas machen wollten. Für die Überzeugungstäterinnen und -täter, denen es wirklich wichtig ist, woher beispielsweise das Geld kommt und dass dieses sauber ist.» Der Anteil solcher Menschen sei noch nie gross gewesen, aber es brauche sie als Vorreiterinnen und Vorreiter: «Damit es staatliche Initiativen gibt, muss vorher etwas entstehen. Es muss Pionierinnen und Pioniere geben, welche die Politik anstossen.» Genau dies habe die ABS immer unterstützt. Das lasse sich zwar nicht messen, aber es sei gut möglich, dass die Bank damit indirekt den Wandel in der Politik beeinflusst habe.
Wirken als glaubwürdiges Vorbild
Wenn es um den Beitrag der ABS zum Übergang in eine Wirtschaft ohne Wachstum geht, nennt er auch die Modellhaftigkeit der ABS als wichtige Wirkungsweise. «Als die Bank gegründet wurde, wurde sie belächelt», sagt er. Das Leitbild der ABS sei damals aber ein Blick in die Zukunft gewesen. «Die Grundgedanken der Gründer sind auch heute noch gültig.» Die Bank habe in vielem vorgegriffen, zum Beispiel beim Thema Weissgeld, bei den erneuerbaren Energien, dem sozialen und ökologischen Bauen, der Bio-Landwirtschaft, beim Thema Lohnspanne oder beim Vaterschaftsurlaub, also auch bei vielen Aspekten, die eine Postwachstumsgesellschaft charakterisieren. «Heute gelten wir als glaubwürdig. Wir haben bewiesen, dass unser anderes Modell nicht nur zukunftsweisend ist, sondern auch funktioniert», stellt Etienne Bonvin fest. Dass die Glaubwürdigkeit der Bank derart gewachsen sei, immer mehr Menschen anerkennen würden, dass es Sinn mache, was die Bank will, macht ihn besonders stolz. Dieser Sinn ist es letztlich, der ihn auch nach 25 Jahren bei der ABS immer noch motiviere, dranzubleiben. «Als ich hier neu angefangen habe, waren wir ein Team von 20 Personen. Heute sind wir 150, und immer noch ist es dieser Sinn der ABS, der alle zusammenschweisst», sagt Etienne Bonvin. Alle, die bei der Bank arbeiteten, würden in die gleiche Richtung ziehen und wollten letztlich einen Beitrag leisten, dass Gesellschaft und Wirtschaft etwas weltverträglicher würden.